Ich lebe mit tollen Kindern an einem tollen Ort und erlebe mit, wie schwer es ist diesen Himmel auf Erden bestehen zu lassen. Und ich übertreibe nicht, das Kinderdorf hier ist großartig, ich denke es ist sogar einzigartig in seiner Großartigkeit. 

Machtlosigkeit

Ich konnte schon immer schlecht mit Ungerechtigkeit umgehen. Und alles was in der Welt so schief läuft macht mir Schuldgefühle, da ich quasi nebenan im hoch gepriesenen Europa ein unbekümmertes Leben leben kann. Wir sehen Fotos, Videos und lesen Texte über Kriege, Armut, hungernde Bevölkerung. Wer es schafft kann dies aber alles ausblenden und sein unbekümmertes Leben in der europäischen Blase weiterleben, als wüsste man von nichts. Trage ich Mitschuld an den Lebensbedingungen anderer? Definitiv. Das fängt bei HM an, geht bei der Banane und dem Nestlé Wasser weiter. Und dieses Gesudere und Scheinheilige der westlichen Gesellschaft nervt mich. Alle wissen über die heftigen Arbeitsbedingungen bescheid und es gibt Gründe für den günstigen Bananenpreis ….. wir kaufens aber, ich schließe mich da nicht aus.

Ich bin in Tansania, nicht im Sudan, Äthiopien oder Uganda. Tansania zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, hat aber einen guten Boden, 70-80% der Bevölkerungen lebt als Selbstversorger von ihrer Landwirtschaft. Es gibt also sicher Orte, da hungern noch viel mehr Menschen, dort würde ich wohl zusammenbrechen.

Und ich sehe nicht das erste Mal geballte Armut. Ich erinnere mich an Slums in Südafrika, an die Hütten neben dem Fluss in Indonesien, an Südamerika. Es berührt mich jedes Mal und bringt mich zum weinen. Hallo Schuldgefühle, hallo Gefühl der Machtlosigkeit.   



Mbingu Children’s  Village – Der tansanische Himmel

Mbingu, übersetzt Himmel, ist das Dorf indem das Waisenhaus liegt, sehr abgelegen im tansanischen Busch. Die Kinder leben hier mit viel mehr, als der Durchschnittstanzanier. Sie haben ein geschütztes Umfeld mit fließendem Wasser, Strom, regelmäßigen Mahlzeiten, Kleidung, Schulbildung und vor allem einer großen schützenden Familie. Schwester Annatholia leitet das Kinderdorf und gewährt mir, hier für zwei Monate zu leben.

Kinder ohne Eltern

Deotila und Diana sind Massai-Zwillinge deren Mutter bei Geburt gestorben ist, beide lagen mit lebensgefährlichen Verletzungen im Stall am Betonboden. Schulmedizin wurde strikt abgelehnt, die Zwillinge tragen heute noch Zeichen der Verletzungen. Deren Stamm wollte sie mit Massaikriegern zurückholen, konnte aber bislang mit Geschenken zufriedengestellt werden. Eine Heirat ist für beide bereits arrangiert, der Kuhpreis verhandelt. 40 Kühe für Dia, und für Deo aufgrund der helleren Hautfarbe 50.

Das ist ein Schicksalsbeispiel, aber nicht außergewöhnlicher oder schockierender als die Schicksale vieler anderer Kinder des Kinderdorfes.

Da ist Sophia, deren Mutter sie alleine zur Welt gebracht hat und nach der Geburt starb. In ihrem Todeskampf trat und schlug die Mutter um sich, zog dem Baby dabei lebensgefährliche Verletzungen zu. Sophia lag Stunden alleine am Boden, noch immer mit der Nabelschnur mit der Mutter verbunden. Am nächsten Tag wurde sie aufgrund ihrer andauernden Schreie entdeckt.

Oder Maki, die von einem anderen Waisenheim zu uns kam, um sie vor einer möglichen Schwangerschaft zu schützen. Wie viele andere dieser Einrichtung hatten Maki und ihre Schwester nicht genug zu essen. Um sich etwas dazuzuverdienen  hatte ihre Schwester Geschlechtsverkehr mit einem Lehrer der Einrichtung. Mit 14 gebar sie ein Baby… Der Vater ist „unbekannt“.

Tansania hat weltweit mit die höchste Müttersterblichkeit. Von vielen Kindern des Kinderdorfes ist die Mutter mit 14 Jahren bei der Geburt verstorben oder deren Mutter ist geistig beeinträchtigt, Vater unbekannt.

Jedes Kind hat seine eigene Geschichte. Das Mbingu Children’s Village fängt diese Kinder auf. Für diese derzeit rund 50 Kinder arbeite ich hier jeden Tag. Ich habe eine 7 Tage-Woche. Einen 8 Stunden Arbeitstag gibt es hier nicht. Ich bin abends total erschöpft, stehe am nächsten Tag wieder um 6 auf, fange an die Babys zu wickeln und den Kindern Kleidung für den Tag herauszusuchen. Die Kinder wohnen hier, die Betreuer auch, ich auch. Und an der Spitze steht Schwester Annatholia, eine taffe Frau, mit riesigem Herzen.

 

Österreich, ich liebe dich

Wir wickeln die Babys mit Stoffwindeln, waschen die gesamte Wäsche per Hand, wir kochen mit offenem Feuer, essen jeden Tag das selbe… das Leben hier unterscheidet sich wesentlich von dem in Österreich und das, obwohl ich hier überhaupt nicht in Armut lebe. Aber ich erlebe ein Reset, mein System wird auf Start zurückgesetzt.

Mir wird ganz bewusst gemacht auf was ich nicht verzichten mag und womit ich ganz gut klar komme. Ein riesen Thema für mich – Joghurt! Verdammt, sobald ich Afrika verlasse renne ich in einen Supermarkt und kauf einen Kilo Joghurt! Hier hab ich überhaupt keine Milchprodukte, aber eben auch keinen Kühlschrank wo ich etwas lagern könnte…

Ich möchte unser Gesundheitswesen nicht vermissen, unsere sauberen Seen, das trinkbare Wasser, abwechslungsreiches Essen… Ich weiß, welches Glück ich habe, in Österreich und einer intakten Familie geboren zu sein.


Ich hab noch so viel zu erzählen! Kurz zum weiteren Verlauf: mein zweites Monat verbringe ich höchstwahrscheinlich als Lehrerin in der Secondary School – Unterrichtssprache Englisch, juhu, ich kann mich verständigen! Wohnen werde ich trotzdem im Waisenhaus. Langeweile kommt sicher nicht auf…
Alles Liebe 

Claudia